Wenn ich durch die Werbeprospekte der Supermärkte blättere – was ich so gut es geht vermeide – komme ich nicht umhin festzustellen, dass der Weltfrauentag, der 08.03.2020, von der Wirtschaft irgendwie als zweiter Muttertag wahrgenommen wird. Und auch aus eigenen Reihen – von Frauen – höre ich immer wieder so Sachen wie „ach, wir können uns doch hier nicht beschweren“ und der Gender Pay Gap sei doch nicht so schlimm. Tampons würden ja jetzt auch billiger.

Ich habe mich auch für die 7%-Besteuerung der Menstruationsprodukte eingesetzt, und ich bin auch für eine Frauenquote. Das sind wichtige Themen.

Wer Feminismus und Chancengleichheit allerdings darauf reduziert, liegt sehr daneben. In diesem Moment, auch mit dem Erstarken der rechten Ideologien, werden Frauenrechte untergraben. Die Gewalt gegen Frauen wächst, und die Schutzzonen wie Frauenhäuser werden kleiner. Demnächst wird sich jemand als Kanzlerkandidat präsentieren, der 1997 gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hat.

Als ich vor über 14 Jahren mein Studium mit einem Schwerpunkt Gender Studies und Frauenforschung abgeschlossen habe, habe ich in meiner blauäugigen Naivität noch geglaubt, die größten Probleme seien außerhalb Deutschlands zu suchen – etwa wenn es um die Beschneidung und Zwangsverheiratung von Mädchen, um Kinderarbeit und sexuelle Ausbeutung in der Tourismus-Industrie geht.

Ich habe ernsthaft geglaubt, dass wir die Zeiten der Frauenunterdrückung und -ausbeutung hinter uns gelassen hätten. Genauso wie ich glaubte, die Zeit der Weltkriege sei vorbei.

Und plötzlich haben wir 2020 und die Welt blutet aus.

Rosen zum Weltfrauentag?

Das ist nicht allein ein feministisches Thema, doch sind wir Frauen erwachsen und erfahren genug diesen Umstand mit einzubeziehen. (Ich verstehe Feminismus im Übrigen als Humanismus.) Immerhin stehen all diese Entwicklungen in einem Zusammenhang: Neoliberalismus, Klimawandel, Frauenhass und Faschismus, um nur einige zu nennen, verstärken sich gegenseitig – wenn man z.B. nur daran denkt, welche Drohungen Greta Thunberg sich von ihren Gegnern gefallen lassen muss.

Was ich aus diesen und vielen anderen Meldungen – unten habe ich eine ausführliche (und ich denke sehr interessante) Linksammlung dazu – lese: Alles, was wir in der Frauenbewegung erreicht haben, steht gerade mit gefesselten Händen auf der Planke, und ich bezweifele, dass ein Peter Pan kommen wird um uns zu retten.

Hass und Gewalt gegen Frauen

Frauen, wir haben ein Problem. Genau genommen haben wir mehrere Probleme, und zwar direkt hier in unserem Land, vor unserer aller Haustüren und vor allem hinter unseren Haustüren. Während Frauenhäuser überall geschlossen statt ausgebaut werden, werden Frauen täglich Opfer von Mobbing und physischer Gewalt, bis hin zum Mord.

Dabei sind die Opfer nicht nur Frauen „am Rande der Gesellschaft“ (und das ist ja schlimm genug!) und nicht nur zufällig – Frauen werden strukturell zu Opfern innerhalb der sozialen Medien wie Facebook, wo ihnen mit einer Selbstgefälligkeit mit Vergewaltigung und Mord gedroht wird, als befänden wir uns hier in einem rechtsfreien Raum.

Es kommt eine weitere Komponente hinzu: Experten haben einen Zusammenhang zwischen rechten Ideologien und Frauenhass hergestellt – eine folgenschwere Verknüpfung, die mit dem Erstarken gewisser Parteien zu einem immer größer werdenden Problem wird. Das Weltbild, das Frauen dem Mann unterstellt und jederzeit sexuelle Verfügbarkeit fordert, ist in rechten Strömungen und auch bei vielen Konservativen immer noch präsent.

Frauenverbände und -rechtlerinnen benennen den Femizid als wachsende Bedrohung für Frauen, und zwar auch hier in Deutschland. Die Plattform One Billion Rising hat hierzu eine Statistik mit Übersichtskarte aufgestellt (Links und weitere Quellen findest du weiter unten).

Rosen für Frauen

Rosen auf Frauengräbern

Während der TV-Gigolo, der „Bachelor“ – dass es das Format überhaupt noch gibt hat bei mir spontan Brechreiz ausgelöst – Rosen an geeignete Kandidatinnen verteilt und die Konsumwelt irgendwie davon ausgeht, dass wir damit ganz zufrieden sind, lege ich virtuell Rosen auf die Gräber der Frauen und Kinder, die im letzten Jahr Opfer von Gewalt geworden sind.

Rosen für über 200 Frauen und Kinder allein in Deutschland, die von One Billion Rising überhaupt gezählt wurden (die Dunkelziffer ist höher). Rosen für die Frauen weltweit, die sich gerade auf der Flucht befinden. Die da zwischen Türkei und Griechenland zum Spielball von Macht- und Geldinteressen werden. Die Tage im Moment sind Tage der Schande, und ich rufe unseren politischen Anführern und Anführerinnen zu: Schämt euch!

Der heutige Tag ist für mich ein Tag der Trauer. Ich kann nicht Frau und Mutter sein und das Schicksal von Millionen Frauen ignorieren, die in diesem Moment Opfer von Vergewaltigung, Mord, Hunger und Armut werden, nur weil sie nicht das Glück hatten hier geboren worden zu sein!

Es reicht!

Es ist Zeit endlich aufzustehen und zu sagen: Es reicht! Es kann nicht sein, dass diese Dinge täglich „passieren“!

Wir brauchen langfristige Lösungen für die Menschen, die sich auf der Flucht vor den Waffen befinden, die wir zuvor exportiert haben.

Wir brauchen mehr Geld und Unterstützung in Präventionsprojekten und für Frauenhäuser, sowie mehr Geld für Bildung.

Wir brauchen eine nachhaltig denkende und handelnde Politik, die nicht den Profit, sondern das Allgemeinwohl in den Vordergrund stellt – gern nach finnischem Vorbild!

Wir brauchen einen finanziellen Ausgleich für alle Frauen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten.

Wir brauchen Gesetze, die Frauen und Kinder vor gewalttätigen Ehemännern und Ex-Ehemännern schützen. (Bestehende Gesetze wurden in der jüngsten Vergangenheit z.B. durch das Umgangsrecht aufgeweicht. Fernsehfilme wie vor Kurzem im Öffentlich-Rechtlichen, die Mütter als intrigante Strippenzieherinnen darstellen, kehren im Übrigen die Statistik unter den Teppich, die immer noch ganz klar mehrheitlich gewalttätige Männer als Bedrohung für Frauen und Kinder sieht.)

Wir brauchen das Recht auf Abtreibung nach bestehenden, gesetzlichen Regelungen als Menschenrecht, und keine ermüdenden Scheindiskussionen und -prozesse darüber, ob ein Arzt nun „Werbung“ für Abtreibung macht, wenn er entsprechende Beratungsangebote auf seiner Website macht. In punkto Abtreibung sind weltweit die Gesetze wieder verschärft worden: Ein Grund zur Besorgnis, denn diese Gesetze treiben gerade junge Mädchen und Frauen in die Kriminalität und bringen sie in eine menschenunwürdige Situation. Da muss man nicht einmal bis nach Amerika gucken – in unserem Nachbarland Polen werden gerade Frauenrechte massiv eingeschränkt und LGBT-Anhänger diskriminiert.

Weltfrauentag
Alles, was wir in der Frauenbewegung erreicht haben, steht gerade mit gefesselten Händen auf der Planke, und ich bezweifele, dass ein Peter Pan kommen wird um uns zu retten.

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose…

Es macht mich traurig, dass alle anderen Probleme IMMER NOCH DA sind. Dass wir – einhergehend mit der Salonfähigkeit rechter Ideologien – eher Rück- als Fortschritte zu machen scheinen. Ich könnte diesen Text noch weiter fortsetzen – das alles sind Themen, die ich seit längerem verfolge, und die wir nicht vergessen dürfen.

Es gibt gute Ansätze, die sich gegen toxische Männlichkeit richten. Es gibt bewundernswerte Beispiele mutiger (junger) Frauen, die sich für eine bessere und gerechte Welt einsetzen. Ihnen möchte ich heute Rosen überreichen und danke sagen: Dafür, dass sie sich so einsetzen, dass sie kämpfen und nicht aufgeben und dass sie dem Hass, der auf sie herabregnet, so stark die Stirn bieten.

Rosen zum Weltfrauentag

Lesenswerte Links und Quellen

Hier findest du lesenswerte Artikel und Quellen, die mir als Basis und Horizont für diesen Essay dienten:

Was hinter dem Frauenhass rechter Attentäter steckt, Süddeutsche, 23.02.2020

Geschlagen, bedroht, schutzlos?, Tagesschau, 24.11.2019

„Die extreme Rechte fantasiert einen Kriegszustand herbei“: Die Rechten und die Sprache, Frankfurter Rundschau, 27.02.2020

Philosophin Federici: Die unbezahlte Arbeit von Frauen ist Milliarden wert – das Vermögen haben aber andere, Kontrast, 21.01.2020

Tödliche Exporte, Themenseite mit Dokumentation, DasErste

So regeln Staaten die Abtreibung, Tagesschau, 15.05.2019

Sie sagt, was sie anwidert, Süddeutsche, 28.06.2019

Diese Abgeordneten stimmten 1997 gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe, correctiv.org

„Die neoliberale Ordnung bricht zusammen“, der Freitag, Interview mit Noam Chomsky, 19.02.2020

Fast ein Drittel Polens gilt als „LGBT-freie Zone“ , Tagesspiegel, 02.03.2020

Frauen- und Friedensverbände und Petitionen

Hier liste ich einige Interessenverbände und Petitionen auf, die du vielleicht auch gern unterstützen magst. Ich weiß nicht, welche ich am wichtigsten finde, deshalb sind die völlig unsortiert. Wenn du weitere Vorschläge hast, schreib mir gern einen Kommentar! Ansonsten freue ich mich, wenn du dich informierst und auf deine Weise mit für das ein oder andere Gute in der Welt kämpfst. Danke!

One Billion Rising

Netzwerk Ella

Stoppt Waffenexporte

Die Mias

Terre des Femmes

ICAN

Hilfeseiten

Arbeitskreis „Gewalt gegen Frauen“ Paderborn

Hilfetelefon

Frauenberatungsstelle Paderborn

Frauenberatungsstelle Lilith Paderborn

Author

Sonja alias Padermama - kreativ-wilde Mama von vier Kindern. Liebt ihren Garten, Nähen und laute Musik.

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