Auf der Demo am 20. September sprach die junge Rednerin Sara Alli Majid Abad von der Paderborner Jugendorganisation der Grünen hier in Paderborn von der Doppelmoral, die spätestens seit Beginn der #fridaysforfuture – Bewegung ein steter Vorwurf aller Klimawandel Leugner und Skeptiker. Sie gestand auf der Bühne ein, dass sie sich schäme – für ihr eigenes Konsumverhalten, für die Nutzung des Smartphones und einiger weiterer Dinge. Trotzdem setze sie sich für das Klima ein und appellierte an die Anwesenden das eigene Konsumverhalten zu überdenken.
In mir sträubte sich etwas bei ihren Worten. Dieser Text ist ein vorsichtiger Versuch mich dem Begriff Scham zu nähern, und warum der uns in der ganzen Debatte lieber nicht leiten sollte – weder als Befürworter noch als Gegner der Klimabewegung.
Totschlagargumente und die Forderung nach Extremen
Als ich 12 Jahre alt war, beschloss ich Vegetarierin zu werden. Das hatte keine heldenhaften, politischen Gründe. Der Hintergrund war eine Wette: Eine Woche kein Fleisch essen, auch keine Frikadellen oder Bolognese. Das habe ich durchgehalten.
Heute sind daraus 27 Jahre geworden.
Ich bin keine Veganerin, aber das wurde mir oft vorgeworfen. Nicht von Veganern oder Vegetariern, wohlgemerkt. Wie oft musste ich mit von Kollegen oder flüchtigen Bekannten anhören, ich dürfe dann aber auch keine Gummibärchen essen. Keine Lederschuhe tragen, usw. ! Mein vegetarisches Dasein könne ich bitte auch gleich lassen, weil es sonst ja nicht zählt. Weil wenn schon, dann richtig. Dann muss ich auch auf Käse, Eier und Milch verzichten. Kann ich nicht? Will ich nicht? Na, aber was bilde ich mir denn ein – was soll denn mein vegetarisches Dasein denn dann nutzen?
So ungefähr verläuft die Logik jener, mit denen ich täglich in der Kantine und bei jeder anderen Mahlzeit diskutiert habe. (Bis vor zehn Jahren ungefähr – ab da wurde das Vegetariersein plötzlich salonfähig.)
Warum erzähle ich das? Weil die Vorwürfe, die Greta Thunberg und die ganze junge Bewegung aushalten müssen – jene Vorwürfe, die genau bei der Doppelmoral einhaken, für die sich Sara Alli Majid Abad schämt – derselben Logik folgen.
Und dabei ist Scham in dem Zusammenhang gar nicht angebracht. Der Vorwurf der Doppelmoral ist ein perfider Schachzug der Klimawandel Leugner oder der Ich-ess-mein-Steak-egal-ob-ich-dran-verrecke-Fraktion, der leider viel zu gut wirkt, und der aber falsch ist.
Es ist so unendlich anstrengend diese sinnfreien Dialoge führen zu müssen – ich habe diese Diskussionen, Nachfragen und Sticheleien („Aber Fisch isst du?“) nur durch freundlich-stoisches Aushalten ohne größeren Schaden überstanden.
Die moralische Deutungshoheit
Heute habe ich verstanden, worum es bei diesen Sticheleien eigentlich geht.
Bei Greta und allen, die ihr zustimmen, ist es ähnlich: Es geht darum die moralische Hoheit zu behalten und durch taktische Whataboutisms abzulenken. Jemand, der durch sein Verhalten oder seine Worte – durch einen Aufruf zu Konsum- oder Fleischverzicht zum Beispiel – die eigene Lebensweise kritisiert, wird als Angreifer angesehen. (Dabei habe ich NIEMALS irgendjemand Vorhaltungen gemacht! Die Nachfragen und Sticheleien kamen immer direkt nach meiner Aussage, ich esse nichts, was Eltern hatte. Auch kein Fisch und kein Geflügel.)
Reflexartig wird der Gegenangriff gestartet – getreu dem biblischen Credo „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Da wird geguckt, ob sie wirklich ohne Sünde ist und diesen ersten Stein überhaupt werfen durfte. Es wird nachgebohrt: Wie konsequent zieht sie das denn durch? Da darf man sich als Veggie oder Greta keinen Fehltritt erlauben – der kleinste Riss im Heiligenschein funktioniert als Bestätigung für „Na bitte, wusste ich es doch – sie ist auch nicht viel besser als wir selbst.“
Und diese Genugtuung – so lächerlich sie ist – wird dann als Legitimation der eigenen Lebensweise begriffen. Da kann man sich dann ein schönes fettes Stück Schweinebauch auf den Grill legen und zufrieden mit Bier hinunter spülen. Immerhin nimmt man ja auch keine Plastiktüten mehr – was wollen die also alle, die kleinen Klimaschützer? Die sollen erstmal ihre Hausaufgaben machen und zur Schule gehen!
Doppelmoral und Scham?
Doch wie sollen wir dann in der Debatte mit den Gefühlen von Scham und dem Vorwurf der Doppelmoral umgehen? Darf man denn jetzt überhaupt gegen die Klimakrise sein und Auto fahren? Wir heizen hier (noch) mit Öl, und wir haben zwei Autos, davon einen Diesel! Allein das reicht schon, damit ich zu dieser Debatte überhaupt nichts sagen dürfte (erstmal die Schule fertig machen und erstmal richtig vegan leben, bevor ich mit Monsieur Schweinebauch mitreden darf).
Und ist das jetzt eigentlich typisch deutsch, dass ich mir solche Fragen stellen?
Aber wenn ich eins in 27 Jahren Vegetariersein gelernt habe, ist es: Doch, ich darf was dazu sagen. Ich muss mich auch nicht schämen. Ich mache die Dinge so, wie ich es für moralisch vertretbar halte. Ich mache mir Gedanken, suche Lösungen und Alternativen, und wir arbeiten Schritt für Schritt daran immer grüner zu werden. Wenn das noch ein paar Menschen täten und die eigenen Schamgefühle hinter sich lassen könnten – dann wäre schon viel erreicht.
Das perfide Spiel von Doppelmoral und Scham funktioniert nämlich auch andersrum: Als heute eine Kindergärtnerin meiner Tochter mir im Vorbeigehen erzählte, dass sie mit ihrem Urlaub von der Thomas-Cook-Pleite betroffen ist, musste ich mir schwer auf die Zunge beißen um nicht noch das Gute daran zu sehen, denn immerhin würde sie jetzt der Umwelt nicht schaden mit ihrem Flug in den Urlaub. Das wäre absolut deplatziert gewesen, und ich hätte diese liebe Frau damit beschämt. Wir wissen spätestens seit Jesper Juul, dass Scham eine ganz furchtbare Sache und eine ganze Generation von Kindheiten zerstört hat.
Die Debatte mit Vorwürfen und Beschämungen zu führen, bringt niemanden weiter.
Wir alle sind im Leben auf einer Reise – wir alle haben unsere Themen, und dann gemeinsame Themen. Der Klimawandel betrifft uns alle, holt uns aber alle woanders ab. Ich finde es falsch andere Menschen zu beschämen, die vielleicht einfach noch nicht soweit sind die Zusammenhänge zu sehen, dass sie mit ihrem Honeymoon auf den Malediven oder ihrer Kreuzfahrt zum Start in die Rente immens zur Zerstörung unserer Erde beitragen, und ich weise auch niemand direkt auf sein konsumistisches Fehlverhalten hin (außer vielleicht meine Kinder).
Ich finde, solche Fragen muss und sollte jeder für sich klären. Wenn wir uns immer alle gegenseitig beschuldigen und das am Ende in einem gesellschaftlichen Contest ausartet, wer denn jetzt der wahreste Klimaschützer ist, oder wer nur dann ein wahrer Klimaheld ist, wenn er oder sie in einem Baumhaus lebt und Kleidung aus selbst gewebten Hanffasern trägt, dann hilft das gesellschaftlich nicht weiter – im Gegenteil ! Das führt zu weiteren Spaltungen, und da haben wir schon genug andere Probleme.
In einer Idealvision von mir reflektiert jeder einzelne Mensch sein Konsumverhalten und findet Argumente und eine moralische Grenze für das eigene Verhalten. Das hat sehr viel mit Eigenverantwortung zu tun, und ich beglückwünsche die junge Generation dazu, dass sie genau das mit der #fridaysforfuture-Bewegung erreicht: Dass plötzlich gesamtgesellschaftlich diese Fragen zur Debatte stehen und sich viele Menschen – auch die ältere Generation – plötzlich Gedanken macht. Zumindest beobachte ich das in meinem Umfeld, dass es oft die Generation 50+ und 60+ ist, die sich für erneuerbare Energien einsetzt und sich gegen die Digitalisierung ausspricht.
Natürlich gibts da immer noch ne Klimawandel Leugner, die so doofe Kommentare bei Facebook schreiben. Unbelehrbare und ewig Gestrige, die bei dem Grünen-Sieg bei der Europawahl meinten, man solle doch gleich den Autoschlüssel in die Urne werfen, und andere blöde Sprüche.
Ja, das ist ermüdend. Aber auch diese Menschen gehören zu unserer Gesellschaft, und wir demonstrieren für ihre Zukunft mit (was auch immer wir uns damit antun!).
Was sind deine Gedanken dazu?
Links zum Thema
„Autoritäre Weltverbesserer – Schamgefühl als Moralkeule“ (Deutschlandfunk)
„Week for Climate: Rund 2.000 Menschen demonstrieren in Paderborn“ (NW-News)
3 Comments
Liebe Sonja,
das hast Du schön geschrieben und wieder mal gut auf den Punkt gebracht. Ich bin derzeit auch eher genervt von dieser schwarz-weiß-Betrachtung. Am schlimmsten finde ich, dass sich andere durch meine Versuche einer nachhaltige(re)n Lebensweise scheinbar immer und überall angegriffen oder bedroht fühlen. Mein letzter Einkauf endete damit, dass die Frau, die zuvor an der Käse- und Wursttheke (ja meine Kinder essen Wurst…) meinen Unverpackt Einkauf beobachtet hatte, ihrem Mann auf dem Parkplatz unüberhörbar zu zischte: „Na, Autofahren darf se dann ja auch nicht.“
WTF?!?
Dieser Satz hat für eigenen kurzen Moment dazu geführt, dass ich mich wirklich schlecht gefühlt habe. Schlecht, dass ich nicht in der Lage war, mit einem coolen Spruch zu kontern (ist ehrlichgesagt eh nicht mein Ding). Aber auch schlecht, weil ich mich gefragt habe, ob sie nicht vielleicht sogar recht ein kleinwenig recht hat.
Letztendlich habe ich mich aber entschieden, mir diesen Schuh nicht anzuziehen. Jeder Schritt zählt. Ich denke wenn jeder ein bisschen tut, bringt uns das viel viel mehr, als wenn einige wenige den absolut perfekten, veganen, autofreien, fancy Bambuszahnbürsten-Edelstahl-Holz-Glas-Lifestyle leben.
Liebe Sabrina,
oh Mann – ja, das ist genau die Situation, die ich meine. Offenbar fühlen sich alle anderen angegriffen, wenn man selbst entscheidet etwas anders zu machen. *seufz*
Und solche Situationen wird es immer wieder geben — mir fehlen dann auch immer die richtigen Antworten!
Und hey – wir fahren auch mit dieser Dreckschleuder mit gelber Plakette durch die Gegend und heizen mit Öl (zumindest bis die Heizung den Geist aufgeben wird).
Ich tröste mich damit, dass es am Ende immer die Dummen sind, die in letzter Konsequenz nur die totale Konsequenz als Mittel sehen. Die nicht begreifen, dass wir auch mit kleinen Schritten etwas erreichen können.
Und machen wir uns nichts vor: Wichtig ist, dass die Big Player auf grünen Kurs kommen. Da sehe ich USA, China und die großen Konzerne, die Massentierhaltung und vieles andere, das noch vor unserem Diesel dran ist.
Und es ist wichtig, dass wir das tun, was wir tun können, und das akzeptieren, das wir nicht ändern können.
Lieber Gruß,
Sonja
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